I am no body like a house is not a home, 2019
10 × 4,4 m Baumwollstoff, davon 220 × 160 cm aufgespannt und mit Gouache und Öl bemalt
Ein Faktor der Instabilität, 2019
Grundierung und Pigment auf Baumwolle, 250 × 270 cm
I am no body like a house is not a home, 2019
Metall, 2,1 × 2,1 × 3,4 m
Ich weiß nicht was ich mit meinen Händen machen soll, 2017
Mischtechnik auf Baumwolle, 220 × 140 cm
Ohne Titel, 2018
Öl auf Teppichboden, 350 × 230 cm
Ausstellungsansicht Ein Leben bekommen, Pavillon 17, AdbK Nürnberg, 2019
Ausstellungsansicht Ein Leben bekommen, Pavillon 17, AdbK Nürnberg, 2019
Bett unter dem Tisch, 2019
Ton-Relief und Stirnlampe, 20 × 27 cm
Wenn/weil ich groß bin, 2019
Ton und Holz, ca. 70 cm
Ohne Titel, 2019
Grundierung und Pigment auf Baumwolle, 50 × 40 cm
Absorbing an eruptive flux, 2019
Mischtechnik auf Baumwolle, 70 × 100 cm
Coiling,
Ausstellungshalle, AdbK Nürnberg, 2020
Ein Leben bekommen,
Pavillon 17, AdbK Nürnberg, 2019
A Tooth for an Eye,
Regionale 19, Kunsthalle Basel, 2018
Ein Leben bekommen,
Pavillon 17, AdbK Nürnberg, 2019
Simone Körner
Und doch, im nächsten Augenblick, sobald man die Tür öffnete, da breitete sich über den Boden, hing an den Wänden, schwang von der Zimmerdecke – was? Meine Hände waren leer.*
Virginia Woolf, Ein Geisterhaus
Der Boden wird zur Leinwand. Die Leinwand quillt aus dem Bild und beginnt zu fließen. Das Fluidum bündelt sich, spritzt, um sich wieder in den Raum hinein auszudehnen. Das ist das erste was mir auffällt, als ich Mirjams Aufbau für Ein Leben bekommen betrete. Nichts ist hier ruhig, alles in Bewegung. Ein roter, sprühender Nippel wird mir von einer ebenso rot behandschuhten Hand entgegengesqueezed. Die 3,5 Meter große Figur ist wulstig und schwer, ihr Doppelkinn wölbt sich mächtig über die Brust, deren Schmerz ich förmlich in meiner eigenen zu spüren beginne. Die Teppichhaut scheint schwer bewohnbar zu sein. Ihr/-e Inhaber/-in schaut auf mich herab, den stillen Mund zu einem Lachen verzerrt, aus den Augen strömt es nur so heraus. Viele Ambivalenzen, die es mit sich bringt, Träger/-in eines Busens zu sein werden hier fühlbar, ist der Busen doch allzu oft Objekt gesellschaftlicher Vorstellungen des Frauseins. Trotzdem ist es keine Dramatik, die ich während des Betrachtens empfinde, scheint der Blick der Figur auf sich selbst doch ein komischer zu sein. Sie nimmt sich in ihrem Schmerz nicht zu ernst.
Ich gehe weiter, vorbei an einem Metallgestell, das die Größe des Wohnraums der Künstlerin beschreibt. Darunter eine Leinwand, die kein Ende haben will, sie wabert aus sich heraus über den Boden. Vorbei an einem Selbstporträt der Künstlerin, angezogen von dem gelben Licht, das mir aus dem letzten der drei Räume entgegenschimmert. Schmunzelnd bleibe ich auf dem Weg dorthin vor einem sehr großen Paar Schuhe stehen. Diese Schuhe sind nicht zum Gehen gedacht, sie laden zum Stolpern ein : vorne bereits gebrochen, klobig und viel zu groß für jeden Fuß. Sie sind aus Ton und wurden mit der gleichen Technik aufgebaut, wie die zwei hohen Gefäße, die sich auch in der Ausstellung befinden. Fast schon archäologisch fügen sie sich in die Fragilität Mirjams Landschaften ein.
Landschaften, die mich immer wieder an Kurzgeschichten Virginia Woolfs denken lassen. Jede steht für sich, und doch greifen sie alle ineinander ein. Die Gedanken, die ich hier finde, sprudeln und springen von einem ins nächste, sind assoziativ und beschreiben Welten der subjektiven Erfahrung. Immer wieder zurückgeworfen auf den Konflikt des eigenen Körper-Seins, in einer Gesellschaft, die meint zu wissen was das bedeutet und deshalb zwanghaft versucht es zu kategorisieren. In diesen Räumen gibt es keine Akzeptanz für das, was eben dieses Ich-Sein beschreiben soll.
Weder für die eigene Geschlechtlichkeit, noch für das, was es hier bedeutet ein Leben zu bekommen. Die eigenen Privilegien scheinen unfassbar unangemessen. Weiter gehen. Ich befinde mich in dem kleinsten der drei Räume. Die Fensterscheibe ist mit Ähren bemalt, das hereinfallende Herbstlicht wird noch wärmer und taucht den ganzen Raum in Gelb. Es strahlt mein persönliches Lieblingsbild an : Zwei Nichts fassende Hände, die sich am Ballen berühren. Am Punkt der Berührung formen sie sich zu einem Anus. Der Hintergrund ist blau.
Meine Hände waren leer. […] Einen Augenblick später war das Licht verblaßt. Draußen im Garten also ? Die Bäume aber spannen Dunkelheit um einen wandernden Sonnenstrahl. So zart, so erlesen, kühl unter die Oberfläche gesunken, brannte der Strahl, nachdem ich suchte, immer hinter dem Fensterglas. Der Tod war das Glas ; der Tod war zwischen uns […].**
Mirjams Arbeiten kotzen, explodieren, reißen und spucken. Die Künstlerin besetzt die Räume, in denen sie arbeitet, humorvoll mit Fragilitäten und eigenen Unzulänglichkeiten.
Es geht hier nicht um eine Fragmentierung des Ichs in der Welt, sondern um eine Ausdehnung, die das eigene Vakuum sichtbar macht. Die Körper, die ich sehe, beschreiben eine Gleichzeitigkeit, eine Sprunghaftigkeit, die sich nicht festlegen lässt. Sie sind lustvoll lustlos, verschmitzt traurig und geborgen verzweifelt. Sie wollen nicht sein, sie sind und dabei werfen sie Fragen auf : Was bedeutet es eigentlich am Leben zu sein ? Wie wollen wir unsere Körperlichkeit bewohnen ? Wie kann ein Begehren nach Leben aus dem eigenen festen Körper heraus überhaupt formuliert werden ? Wie gehen wir damit um ein Leben zu bekommen ?
* Virginia Woolf: ›Ein Geisterhaus‹, in: Die Dame im Spiegel und andere Erzählungen, 1. Aufl. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag, 1978. S. 10.
** Ebd.